martedì 26 ottobre 2010

Wie der Alltag unseren Schlaf bestimmt


  


Wie der Alltag unseren Schlaf bestimmt
  
Jeder hat ihn, jeder braucht ihn: Doch wie lange, wann und wo der Mensch schlummert, gibt das Umfeld vor. Auftakt eines ZEIT-ONLINE-Schwerpunktes zum Thema Schlaf.


Warum schlafen wir? In den kommenden Tagen widmen sich ZEIT ONLINE und DIE ZEIT intensiv dem Thema Schlaf. In Interviews, Videos, Reportagen und Umfragen klären wir die wichtigsten Fragen rund um den Zustand, in dem wir gut ein Drittel unseres Lebens verweilen. Wie erklären Hirnforscher den Schlaf, gibt es die produktive Siesta und was kostet die Wirtschaft unsere Müdigkeit? Zum Auftakt hat unsere Autorin Alina Schadwinkel dem Schlummern in verschiedenen Kulturen nachgespürt.

Schlaf ist ein globales menschliches Bedürfnis, seit Anbeginn der Zeit. Ob Schlaf in Schichten in der Antike, Tragbetten zu Zeiten der Römer, Schlafentzug mit Beginn der Industrialisierung oder die calvinistische Arbeitsethik im Silicon Valley: Dass der Mensch schlafen muss, ist unumstritten. Aber auf das "wie?" gibt es die unterschiedlichsten Antworten.

"Im Laufe der Jahrhunderte gab es dramatische Veränderungen im Schlafverhalten. Zum Beispiel war es in Europa bis zum 18. Jahrhundert weit verbreitet, in zwei Schichten zu schlafen", sagt der Mathematiker und Gesundheitswissenschaftler Timothy Olds von der University of Southern Australia. Schon die Griechen waren es lange vor Christi Geburt gewohnt, auch nachts stundenlang wach zu sein. In dieser Zeit wurde gebetet, Träume diskutiert, Nachbarn besucht und Bier gebraut.

In den folgenden Jahrhunderten änderte sich dies radikal. Wer zweimal täglich schlummerte, galt als faul und unproduktiv, schließlich wurde kostbare Zeit einfach nutzlos vertan. "Jeder handhabt den Umgang mit Schlaf halt ein wenig anders", sagt Olds. Er untersucht das Schlafverhalten von Kindern weltweit. Olds und seine Kollegen durchforsteten 30 Studien aus 20 Ländern, die von den Schlafgewohnheiten der vergangenen 30 Jahre berichten. Die heutige Generation poft demnach pro Nacht gut 20 bis 30 Minuten weniger als ihre Eltern.

Auch kulturell gibt es scheinbar gravierende Unterschiede. So schlafen Kinder in Asien gut 60 bis 120 Minuten pro Nacht weniger als jene in Europa. Amerikanischer Nachwuchs bleibt im Schnitt rund 40 bis 60 Minuten länger im Bett als ihre Altersgenossen in Fernost. Schulkinder in Korea ratzen während der Prüfungsphasen laut einer Studie nur vier bis fünf Stunden pro Nacht in der Woche, jedoch 13 Stunden am Wochenende, um den Verlust wieder auszugleichen. Und "in Japan ist es normal, dass Kinder in der Schule schlafen. Es zeigt, dass sie nachts fleißig waren, wenn sie im Unterricht einnicken", erklärt Olds. In Amerika und vielen Ländern Europas hingegen zähle dies als ein Zeichen von Schwäche.

Dabei ist die "Siesta" in den südlichen Ländern Europas noch immer Kulturgut, selbst wenn sich in Großstädten langsam weniger Menschen am Nachmittag dösen. Auch in einigen Ländern Südamerikas gehört die Mittagspause samt Kurzschlaf noch heute zum Alltag und in Irland gab es bis in die 1980er noch eine "ruhige Stunde".

Wer schläft ist nicht nur selig, sondern mitunter auch reich, zeigen Studien. Eine australische Umfrage hat ergeben, dass Kinder aus wohlhabendem Hause mehr schlummern, als solche aus ärmlicheren Verhältnissen. "Womöglich können besser verdienende Eltern ihren Kindern eher einen geregelten Alltag bieten. Und sie achten vielleicht stärker darauf, dass ihr Nachwuchs genügend Schlaf bekommt", sagt Olds. Auch wer als Kind ein Einzelzimmer bekommt, ist im Vorteil. "Es ist erwiesen, dass Menschen in Gesellschaft unruhiger schlafen, als wenn sie ein Zimmer ganz für sich allein haben."

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das "persönliche" Bett zum Allgemeingut. Und erst im 19. Jahrhundert wurden private Schlafzimmer, wie wir sie heute kennen, generell üblich. Zuvor pflegte man in den Gemächern auch Gäste zu empfangen und Sonnenkönig Louis IVX. fällte sogar Urteile während er in einem seiner 413 Betten lag.

Nicht allein die Sprungfeder-Matratze, patentiert im Jahr 1865, brachte bald darauf neue Gewohnheiten in die Schlafzimmer. "Coffeinization und Electrification sind die zwei Dinge, die unser Schlafverhalten in den letzten Jahrzehnten maßgeblich beeinflusst haben", sagt Olds. Doch alles begann mit der Erfindung der Gaslampe 1807. Pall Mall in London war die erste Gegend weltweit, deren Straßen mit den leicht entzündlichen Gasfunzeln beleuchtet wurde. Nach 1879 wurden die brandgefährlichen Lampen durch Thomas Edisons Glühbirne ersetzt, die nach und nach in die Häuser einzog. Das Licht in der Nacht machte nicht nur die Städte sicherer, gleichzeitig konnten die Leute noch arbeiten, nachdem die Sonne längst untergegangen war.

"Es gibt eine Studie, die belegen will, dass die Amerikaner nach dieser Erfindung im Schnitt drei Stunden weniger schliefen als zuvor", sagt Olds. Ob der Bruch tatsächlich so gravierend war, vermag er nicht zu sagen. Sicher ist jedoch, dass das Volk der Inuit seine Schlafgewohnheiten komplett umstellte, als sie das künstliche Licht bekamen: Schliefen sie abhängig von der Jahreszeit im dunklen arktischen Winter noch 14 Stunden und nur sechs im Sommer, gewöhnten sie sich in den 1960er Jahren ganzjährig den Acht-Stunden-Schlaf an.

Kaffee ist die zweite treibende Kraft, die uns mittlerweile um den Schlaf bringt, sagt Olds: "Koffein ermöglicht es uns, länger wach zu sein – den Grund dazu, lieferte uns auch die Elektrizität." Seit Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem aber seit den 1980er Jahren und dem Computerzeitalter beobachten Schlafforscher eine für sie beunruhigende Entwicklung. "Die Menschen arbeiteten immer länger, um Erfolg zu haben und verschreiben sich der Arbeit zu jeglicher Tages- und Nachtzeit."

Silicon Valley, das Mekka der Computerspezialisten und Softwareprogrammierer ist das Musterbeispiel solch calvinistischer Arbeitsethik. "Schlaf ist Zeitverschwendung. Und unproduktiv", schreibt Programmierer Louis Gray, in seinem Blog. "Es war eine Ehre lange zu arbeiten und sogar nachdem man das Büro verlassen hatte, wurde davon ausgegangen, dass man abrufbereit steht für neue Ideen, Veröffentlichungen oder Anliegen von Verbrauchern", erinnert er sich an den Dot.com-Taumel der 1990er. Nun, da jede weitere Stunde im Büro oder daheim am Laptop einen Verzicht auf die Familie bedeute, träume er davon, ein Team zu finden, das Schlafsäcke unter den Schreibtischen auf Lager hat. So soll es schon Jerry Yang, der Mitbegründer des Internetdienstes Yahoo, gemacht haben.

(Da „Die Zeit Online“ 26/10/2010)